Notiz zum Völklingen-Projekt 1993-1995

Die Herangehensweise, Art und Weise des Ansatzes bei meiner Arbeit mit dem Medium Fotografie seit 1987 wechselt. Konstant ist, dass die Bildgegenstände, die Wahl dessen was ich fotografiere, immer eng mit dem Selbst, der eigenen Biographie verbunden ist. Bilder realen Raumes gegenwärtiger Zeit, die jetzt fotografierten verschiedenen Orte, treten mit Bildern im geistigen Raum der Erinnerung in Diskurs. Das trifft auch zu für die Stadtlandschaften, Straßen, Häuser und Landschaften, strukturiert von der Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft der Post-Industriezeit, die expandiert, mit verstärktem Zugriff auf das Territorium. Emotion und Subjektives aber liegt hinter meinen Bildern, ist vordergründig nicht konstitutiver Teil der Fotografien. Hingegen zeigen diese Faktisches. Weil Erzählerisches ausgelassen ist, ist es die Faktizität mimetischer Aufzeichnung, gewahrt durch die objektivierende Fotografie, die der Denkung Raum lässt, über das aus der Distanz betrachtete. Nun fotografiere ich ja auch nicht unreflektiert Stahlwerke in Erwartung irgendwelcher, vielleicht interessanter Bilder. Mir sind solche Sachen (Hüttenwerke, Erzgruben etc.) aus meinen Kinder- und Jugendtagen durch die Landschaft aus der ich komme vertraut. Erinnerungen greife ich bei meiner Arbeit auf. Das Phänomen des Raumes und der "verlorenen Zeit" ist bei meiner Arbeit thematisiert. Zugleich ist die Zeit Bühne gesellschaftlichen Handelns und der Folgen des Handelns, denen es mit analytischem Blick zu begegnen gilt, der Erkenntnis wegen, was sich auch an der am Geschehen beteiligten Montanindustrie festmachen lässt. Nicht wenige von denen, die an den Hochofenfeuern standen, werden sich auch in den Schützengräben der beiden Kriege im Granatfeuer wiedergefunden haben. Und wurde dabei das Produkt der Hüttenwerke, der Stahl, nicht mörderisch eingesetzt? Schrieb da nicht einer von "Stahlgewittern"? Die Werke in verschiedenen Territorien, die ich bei meinen Recherchen zu der dem Völklingen-Projekt nachfolgenden Arbeit "Industriezeitorte" sah, weckten einst Begehrlichkeiten über die Grenzen hinweg, in der Verquickung von Macht, Kapital und Arbeit. So ist es nicht Zufall, dass in Regionen der Schwerindustrie, in denen heute teils wegplanierte Stahlwerke und Gruben liegen, nur noch an Spuren erkennbar, das Kapital ist weitergezogen, zahlreiche Militärfriedhöfe zu finden sind. Und Arbeitersiedlungen (Häuser) sind zurückgeblieben, des Grundes ihres Vorhandenseins beraubt. Oft angrenzend an die Industriebrachen sind sie von ganz eigener elegischer Wirkung. Die Arbeit ist nicht wenigen abhanden gekommen. Im Kontext des so gesehenen stehen meine eigenen Erinnerungen an die täglichen Eisenbahnfahrten Weilburg - Wetzlar und zurück. Ab Winter 1952-53, teils 4 Uhr 44, bei kaltem Winterwind, in umgenutzten Viehwoggons in Ermangelung von Personenwagen. Mitten unter denen, die, häufig gezeichnet am Kopf, an Armen, Händen, Beinen oder ohne diese, im dichten Zigarettenrauch noch von schemenhafter Gestalt, die Zeit der Zugfahrt im überheizten Waggon zusammengekauert vor sich hin schliefen. Hielt der Zug am Ziel, erkennbar an den Hochofenfeuern neben den Bahngleisen, schlugen die Türen auf und ihr Weg durch die Kälte ging wieder ins Stahlwerk, soweit sie mit Behinderungen ihre Arbeit noch machen konnten. 1990 habe ich den Bahnhof aufgesucht und fand das vertraute Bahnhofsgebäude nicht mehr vor. Abgerissen. Ebenso abgerissen waren die Hochöfen und Arbeiterzüge kamen keine mehr und der Widerhall der schlagenden Zugtüren ist für immer verklungen.

Klaus Graubner
Frankfurt am Main, 1. Februar 1998

page 1 of 1